Bedeutung

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Der dentale digitalen Workflow revolutioniert zur Zeit die Planung und Fertigung von Zahnersatz. Speziell in der Ausbildung müssen die zukünftigen Zahntechniker und Zahntechnikermeister auf diese Situation intensiv vorbereitet werden.


Ralph Riquier (r2dental) formulierte während der Jahrestagung der Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft Zahntechnik in Ispringen im Mai 2014 zusammengefasst (aus Schrift- und Gedächtnisprotokoll) folgende Thesen für die Entwicklung des dentalen digitalen Workflows für die folgenden 5 Jahre:

  • Prognosen
    • Material
      • Monolithische keramische Versorgungen werden deutlich zunehmen.
        • Sie sind maschinell sehr einfach zu fertigen, da vorgesinterte Rohlinge auch mit kleinen CNC-Maschinen präzise und schnell zu verarbeiten sind.
        • Sie sind kaum fehleranfällig.
        • Sie sind universell einsetzbar.
        • Sie können in ähnlichen Wandstärken wie metallische Versorgungen gefertigt werden.
      • Hochleistungskunstoffe werden eine viel größere Rolle spielen.
        • Sie sind maschinell recht einfach zu fertigen, da sie auch mit kleinen CNC-Maschinen präzise zu verarbeiten sind.
        • Sie sind kaum fehleranfällig.
        • Sie passen sich gut in die okklusale Struktur des Patienten ein, da sie nicht härter als menschlicher Zahnschmelz sind.
        • Sie sind universell einsetzbar.
    • Fertigung
      • Subtraktive Fertigungstechniken
        • Fräs- bzw. Schleifmaschinen können flexibel eingesetzt werden.
        • Sie arbeiten sehr präzise.
        • Es können viele verschiedene Materialen verarbeitet werden.
        • Es gibt für jeden Einsatzbereich eine große Vielfalt an Maschinen.
        • Mit größeren Maschinen können Hinterschnitte bearbeitet werden.
      • Generative (additive) Fertigungstechniken
        • Generative Fertigungstechniken sind hoch produktiv. Es können in einem Arbeitsgang viele Werkstücke gefertigt werden.
        • Die Materialauswahl ist eingeschränkt.
        • Hinterschnitte und Hohlräume können uneingeschränkt gefertigt werden.
        • Nicht alle Werkstoffe sind mundbeständig.
    • Konstruktion (CAD)
      • Die Funktionalität von CAD-Software wird immer weiter ausgeweitet. Diese Ausweitung geht zu Lasten der Qualität. Bestehende Funktionen werden eher selten verbessert bzw. optimiert, da viele Firmen eher ohne spezielisierten zahntechnischen Background entwickeln.
      • Die Integration von Fremddaten wird ausgeweitet. Z.B. DICOM-Daten oder Punktewolken oder Netze von Gesichtsscans werden intergriert.
      • Die Interaktivität zwischen den einzelnen Schritten des Workflows wird erhöht. Das erfordert spezialisierte Schnittstellen, die evtl. nur mit angepassten oder geschlossenen Systemen zu realisieren sind.
    • Prozessketten
      • Die einzelnen Phasen des Workflows werden zu einen großen integrativen Prozess.
      • Industrielle Portale regeln den Datenfluss.
  • Folgen/Zusammenfassung
    • Material/Fertigung
      • Die manuelle Fertigung tritt immer weiter in den Hintergrund.
      • Bei der Konstruktion (CAD) sind klassische zahntechnische Kompetenzen weiterhin unbedingt notwendig.
      • Viele moderne Materialen sind recht anspruchslos für die verwendeten Maschinen.
      • Es werden daher durchaus weiterhin oder vermehrt kostengünstige Laborsysteme eingesetzt.
    • Konstruktion/Worklflow
      • Industrielle Portale regeln den Datenaustausch.
      • Die CAD-Software wird mächtiger.
      • Die Kompatibilität der Systeme nimmt zu.
      • Die Austauschformate werden komplexer.
      • Damit werden Norm-Schnittstellen (STL) unwahrscheinlicher.
      • Kooperationen zwischen Anbietern bringen entscheidende Vorteile.


Update 2017! Zum Anlass der innungsversammlung der Zahntechnikerinnung Düsseldorf durfte ich erneut Ralph Riquier zuhören, als er den neusten Stand seiner Überlegungen/Prognosen zur Entwicklung der (digitalen) Zahntechnik vorgetragen hat.

  • Update 2017
    • Datei-Formate
      • Das STL-Format als das Standard-Austauschformat für Oberflächennetze in offenen Systemen (entwickelt 1988) kommt in die Jahre.
      • Schon ein Jahr später (1989) wurde das OBJ-Format entwickelt, das in einer zusätzlichen Materialdatei z.B. Informationen über Texturen, Spiegelungen, Transparenz enthalten kann.
      • Mitte der 90er Jahren wurde das PLY-Format entwickelt, das zusätzlich für Ecken und Kanten, einen Alpha-Kanal (Transparenz), sowie Beleuchtungseigenschaften und Material (Oberflächenstrukturen) kennt und in einer einzigen Datei übertragen kann.
      • STL scheint laut R. Riquier "dental ein Auslaufmodell" zu sein. Es bleibt abzuwarten, welche evtl. auch neu entwickelten Formate sich in Zukunft durchsetzen.
      • Für z.B. Präpartionsgrenzen wird XML-Format verwendet. So kann die genaue Lage der Präparationsgrenze nach automatischen Findung und Benutzerkorrektur weitergegeben werden.
      • Es werden abgestimmte Formate Vordergrund stehen, die zwar das Oberflächennetz offen weitergeben, aber auf spezielle Systeme abgestimmte zusätzliche Daten enthalten.
    • Technologie
      • Das Digital-Light-Prozessing ist im 3D-Druck zur Zeit die Standard-Technik
      • FDM (besser FFF, Fused Filament Fabrication) mit z.b. PEEK als Werkstoff wird zur Zeit von der Firma Apium entwickelt und auch schon verkauft. Als thermoplastischer Prozess fallen viele Probleme und Gefahren der chemoplastischen generativen Fertigung weg.
      • Der gesamte Prozess eine Fertigung bestimmt die Qualität, nicht nur einzelne Geräte oder Teile der Prozesskette.
      • Die subtraktive Fertigung bleibt weiterhin dabei und ist auf längere Sicht nicht ersetzbar.
      • Alle Firmen haben Zahnarztversionen ihrer Softwareprodukte. Das zeigt, wo die Industrie neue Absatzchancen vermutet.
      • Die Hybridfertigung (Lasersintern/Fräsen) z.B. für Teleskope ist ein spannendes Feld. Die lasergesinterten Gerüste werden anschließend innen exakt nachgefräst.
      • Die Firma Ignident - Funktionsermittlung von Kieferbewegungen mit kleinen Sensoren auf den Vestibulärflächen - Kaubewegungen möglich - STL auf Gelenksdaten zuordnen!!! - Kaubewegungen in der Konstruktion! Artikel zu Ignident
    • Materialien
      • Jeder bietet alles an! der Markt ist eng und hart umkämpft.
      • Hochleistungspolymere sind sehr zukunftsträchtige Werkstoffe. Die Kunst ist es, Kunststoffe zwischen duktil und spröde zu finden, die eine perfekte Rückstellung nach Verformung bieten. Solvay Dental 360 Ultaire AKP z.B. zerspant gut (besser als PEEK). Retentionsgebiete werden an Werkstoffeigenschaften angepasst. Die Konstruktionen solcher partiellen Prothesen sehen völlig anders aus als bisher gewohnt.2
    • Fazit
      • Der Zahnarzt-Markt wächst stetig.
      • Der Trend geht zur "same-day-dentestry".
      • Der Zahntechnik-Markt wächst nicht mehr, er schrumpft z.B. in den USA.
      • Wie positioniert sich der Zahntechniker am Markt? Provokant: Wer braucht schon einen Zahntechniker? Wir müssen einen Grund haben, um existent zu bleiben!
      • Beispiel für den harten Wettbewerb: Ivoclar hat eine Chairside-Fräs-/Schleifmaschine entwickelt, weil Sirona neuerdings selbst Blöcke herstellt und Ivoclars Blöcke nicht mehr braucht.
      • Die Dental-Industrie steck hauptsächlich Geld in die Entwicklung um in den Zahnarztmarkt zu kommen. Die Entwicklung für Zahntechnik stagniert.


Ich, Markus Lensing, möchte dazu einige Folgerungen für den schulischen, teilweise auch für den betrieblichen Teil der dualen Ausbildung formulieren: (Die Meisterausbildung ist davon natürlich auch betroffen!)

Der dentale digitale Worklflow muss bestimmender Teil der Ausbildung werden und von Beginn an Thema sein. Für den Unterricht in der Berufsschule bedeutet das, dass er zu Beginn im ersten Ausbildungsjahr grundlegend theoretisch mit exemplarischen praktischen Anteilen vermittelt werden muss. Anschließend muss die tiefgreifende Aufarbeitung einzelner Bestandteile des Workflows in den passenden Lernfeldern erfolgen. Diese Übersicht zeigt einen Entwurf dazu.

In der betrieblichen Ausbildung (überbetrieblich und im Labor) muss aufbauend auf die Theorie der dentale digitale Workflow praktisch vermittelt werden.


Einige Thesen dazu:

  • Zahntechniker müssen grundlegend kompetent im dentalen digitalen Worklflow sein, um dem Trend zu industriellen Portalen und bloßem (unreflektiertem) Anwendertum entgegen zu wirken. Dazu gehört auch, selbst Serverlösungen anzubieten, um Herr der eigenen Daten zu bleiben. Big Data ist auch in der Zahntechnik der Schlüssel zur Zukunft!
  • Das Know-How rund um die Funktion von Zahnflächen muss auf den digitalen Workflow übertragen werden (funktionelle Kauflächenrekonstruktion). Das erfordert nicht zwingend die vorherige Ausbildung mit Wachs.
  • Die Verwendung von proprietärer Software sollte im theoretischen Teil der Ausbildung vermieden werden. Freie Software, die auch Einblicke hinter die Kulissen der Benutzeroberfläche ermöglichen, sollen bevorzugt verwendet werden (Blender, BlenderforDental, Meshlab, 3D-Slicer, 3D-Drucker, evtl. kleine Fräsmaschinen).
  • Die Schulung an professionellen Systemen (Produktionsmaschinen, CAD-Software, Implantatplanungssoftware) findet vorzugsweise in der betrieblichen Ausbildung (Labor und Überbetrieblichen Ausbildung) und der Meisterschule statt.
  • Der Zahntechiker muss sich durch detaillierte Kompetenzen im dentalen digitalen Workflow von der Industrie emanzipieren. Nur so kann die vollständige Kontrolle durch industrielle Portale, die Verwendung geschlossener oder angepasster Formate und die Abhängigkeit von teurer Software vermieden werden. Wünschenswert wäre eine digitale zahntechnische Kultur, die sich im Bereich der Freien Software bewegt! Andere Branchen zeigen durchaus interessante Ansätze. Blender_4_Dental ist eine erste, zwar nicht ganz freie, aber sehr interessante und boomende Umsetzung dieser These.
  • Die Festlegung einer gegossenen(!) Nichtedelmetallversorgung als Kassen-Regelversorgung in der neuen BEL 2014 widerspricht den oben aufgeführten Prognosen und Thesen. Sie behindert die zukunftssichere Ausrichtung der Zahntechnik!


Die meisten Unterrichsplanungen in www.wikidental.de entsprechen diesen Thesen und fördern die dazu notwendigen Kompetenzen.

Markus Lensing (Mai 2014/Oktober 2017)