LS7.1 Herstellung Totaler Prothesen nach Albert Gerber: Unterschied zwischen den Versionen

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===Herstellung Totaler Prothesen nach Professor Gerber===
===Herstellung Totaler Prothesen nach Professor Gerber===


====Ausführlicher Informationstext====
*[[LS7.1 Ausführlicher Informationstext Totalprothetik Gerber | Ausführlicher Informationstext]]
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Professor Gerber<ref>https://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Gerber</ref> hat sich, wie auch davor Prof. Gysi, mit den funktionellen Unterkieferbewegungen beschäftigt, um daraus ein Gelenkgerät (Artikulator) und statische Funktionsformen für Kunstzähne zu entwickeln.


=====Grundüberlegungen Gerbers=====
[[Kategorie:Online-Lehrbuch 2022]]
'''Zunächst wird der Zusammenhang der Kiefergelenke zu den Zahnformen und den Zahnstellungen festgestellt und folgendermaßen definiert:'''
[[Kategorie:Lernfeld 7 Totalprothesen herstellen]]
In der '''zentrischen Okklusion''' wird in einem eugnathen Gebiss maximaler Zahnkontakt vorhanden sein. Die beiden Kondylen befinden sich dabei in der Tiefe (Zenit) der Gelenkgruben völlig druck- und zugfrei. Kaukräfte werden in dieser Position nicht über die Gelenkköpfe weiter gegeben.
[[Kategorie:LS7.2 Aufstellsysteme für 28er]]
 
[[Kategorie:Propädeutik]]
 
Der '''Kauvorgang''' beginnt mit der „Beladephase“, wozu der Unterkiefer nach der Kauseite geführt wird, um die Nahrung zu fassen. Dabei ist der Kondylus der Kauseite im Gelenk frei schwebend und kann darum durch die Muskulatur nach dorsal und lateral gezogen werden. Es wird also eine Bennettbewegung durchgeführt. Diese Beladephase ist die Startlage des Unterkiefers, denn jetzt wird zum Zerreiben der Nahrung unter Kaudruckbelastung der Unterkiefer aus der rückwärtigen Seitwärtsposition nach vorn und zentral geschoben. Danach kann beobachtet werden, dass der Unterkiefer einen Lagewechsel zur Gegenseite (Balanceseite) und zu den Frontzähnen vornimmt, bevor er in die zentrale Schlussbisslage findet.
 
 
Die Analyse des '''Kauvorgangs''' belegt den grundsätzlichen Bewegungsablauf der Bennett-Bewegung, sie zeigt aber auch die Position der Kondylen während des Bewegungsablaufs. Es wird ebenfalls deutlich, dass die funktionelle Kaubewegung im Gegensatz zum 4-Phasen-Rundbiss (vgl. Prof. Gysi) nicht zweidimensional nur in der Transversalebene verläuft, sondern dreidimensional zur Seite und nach dorsal, um danach einen „Schlenker” nach der Balanceseite hin durchzuführen.
 
 
Außerdem analysierte Professor Gerber die besondere '''Lippen-, Wangen- und Zungenaktivität''' während des Kauvorgangs. Die aktive Wangenmuskulatur verhindert ein Abrutschen der Speiseteile in den Mundvorhof, während die Zunge die Speise immer wieder zwischen die Zahnreihen drückt. Diese Muskelaktivität bestimmt die Bewegungsausschläge während des Kauens mit.
 
 
Aus den Betrachtungen über die funktionellen Unterkieferbewegungen leitet Professor Gerber diese '''Forderungen''' ab:
#Die Unterkieferbewegung muss zur Herstellung von Zahnersatz in geeigneten Gelenkgeräten nachgeahmt werden.
#Bei der Bissregistrierung muss die zentrale, druckfreie Position der Gelenkköpfe im ”Zenit” der Gelenkgruben wiedergefunden werden.
#Eine Gelenkbahnvermessung muss durchgeführt werden, um individuelle Werte auf den Artikulator übertragen zu können.
#Die Kunstzähne müssen auf die Unterkieferbewegung bezogen sein und statischen Anforderungen genügen.
#Die Zahnstellung der totalen Prothesen muss die Lagestabilität des Ersatzes sichern.
#Die Prothesenkörpergestaltung muss muskelgerecht zur Unterstützung des Prothesenhalts ohne Behinderung der Muskelaktivität vorgenommen werden.
 
=====Die Condyloformzähne nach Professor Gerber=====
Aus den Betrachtungen über die Unterkieferbewegungen, vor allem aber aus den Untersuchungen der Kiefergelenkformen und -bewegungen wurde der Condylator-Artikulator entwickelt (dazu später mehr). Nun stellt Professor Gerber jedoch auch den funktionellen Zusammenhang zwischen Kiefergelenkformen und den Zahnformen fest. Danach kommt es mit Abschluss der zweiten Dentition im vollständigen Gebiss zu einer fortschreitenden Anpassung zwischen den Gleitflächen der Kiefergelenke und der Zahnoberflächen. Diese Abrasion der Kauflächen erfolgt während der physiologischen Funktion des Kausystems und erzeugt bei den Molaren Schliffflächen, die Formähnlichkeiten mit den Gelenkpfannen haben.
 
 
Die Gelenkpfannen und die Kondylen passen wie [https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%B6rser_(Werkzeug) Mörser] und [https://de.wikipedia.org/wiki/Pistill Pistill] zusammen, und nach ebendiesem Mörser-Pistill-Prinzip erfolgte die Angleichung der oberen palatinalen Höcker -, und der unteren Kauflächen bei den Condyloform-Backenzähnen nach Gerber. Die palatinalen Höcker bilden Mikro-Kondylen und die lingualen Kaumulden der unteren Seitenzähne bilden Mikro-Gelenkpfannen.
 
 
Hierbei ist auffällig, dass das statische Prinzip der Mörser-Pistill-Zähne, wie es von Hiltebrandt beschrieben und angewandt wurde (Kuppel-Mulden-Zähne, Dynamic-Zähne), mit den anatomischen Höckerneigungen nach Gysischer Auffassung verbunden wurde. Die Besonderheit bei den Condyloform-Zähnen liegt in der hervorragenden Synthese beider Grundformen:
 
 
Die Kauflächen der unteren Seitenzähne haben die mörserförmige Kaufurche nach lingual verschoben, während die bukkalen Höcker eine markante Abrasionsfläche aufwiesen, die nach vestibulär abfallend ist. Die palatinalen Höcker der oberen Zähne fassen pistillförmig in die untere Kaufurche, während die bukkalen oberen Höcker mit den angepassten Abrasionsflächen über die unteren Zähne greifen. Die Schrägflächen der bukkalen Höcker in sagittaler und transversler Richtung, wie auch die Krümmungen der Mörser-Pistill-Höcker, sind auf die Gelenkbahnneigungen und die Bewegungsformen des Unterkiefers bezogen. So können unter Zahnkontakt Vorschubbewegungen auf den langen Arbeitsfacetten und Rückwärtsbewegungen auf den kurzen Balancefacetten der Kauflächen durchgeführt werden. Die Mörser-Pistill-Zähne lassen also in zentrischer Okklusion geringe Unterkieferbewegungen unter Zahnkontakt zu, ohne dass es zu dynamischen Prothesenbewegungen kommt oder leichte Öffnungsbewegungen des Mundes gemacht werden müssten; bei den normal geformten anatomischen Abrasionsformen anderer Hersteller sind Verschiebebewegungen unter Zahnkontakt nur möglich, wenn der Mund geringfügig geöffnet wird, also die Zähne aus der zentrischen Okklusion gehoben werden.
 
 
Die nach lingual versetzte Kaumulde der unteren Zähne und die abrasierten bukkalen Höcker tragen in der Weise zur Lagestabilität bei, wie eben diese funktionellen Elemente (Mikro-Kondylus und Mikro-Gelenkpfanne) von der Zahnmitte deutlich nach lingual verschoben sind. Da nun zusätzlich die Zähne in lingual/vestibulärer Richtung breiter gehalten sind, können sie im [https://de.wikipedia.org/wiki/Tonus Tonusgleichgewicht] von Zunge und Wange aufgestellt werden. Die anatomisch geformten Vestibulärflächen weisen eine markante Krümmung auf, was einen guten Wangenkontakt möglich macht. Der Prothesenträger kann so die Prothesen mit den Wangen und der Zunge führen und stabilisieren. Merkmal der Condyloform-Zähne ist daher, dass sie bei Stellung auf der Mitte des Kieferkamms mit ihren Antagonisten autonom kaustabil stehen. Was jedoch unter dem Begriff Kaustabilität genau gemeint ist, soll im nächsten Abschnitt geklärt werden.
 
=====Der Begriff der Kaustabilität=====
Eine '''Kaufunktionslehre''' versucht, Aussagen über die Unterkiefer- und Gelenkbewegungen, über den Zusammenhang von Zahnform und Zahnstellung zu den Bewegungen sowie über die statischen Verhältnisse bei totalen Prothesen zu machen. Die Lagestabilität ist nach Professor Gerber von der Zahnform und Zahnstellung der künstlichen Zähne und von der Prothesenkörpergestaltung abhängig. Von den Zahnformen nach dem statisch günstigen Mörser-Pistill-Prinzip war eben schon die Rede, nun gilt es zu klären, wie die Condyloform-Zähne in bezug zu den Kieferkämmen aufzustellen sind.
 
 
Die Seitenzähne stehen natürlich auf der Mitte der Kieferkämme; denn das, was bei Professor Gysi das Kammliniengesetz (und bei Dr. Hiltebrandt das statische Grundgesetz) fordern, gilt auch bei Professor Gerber. Bei Zahnstellungen außerhalb der Kammlinie kann die Prothese abgehebelt werden. Nun sind aber bei den Condyloform-Zähnen die funktionellen Elemente, wie die Kaumulde und der palatinale Stampfhöcker, markant nach lingual versetzt. Wenn diese funktionellen Mörser-Pistill-Anteile exakt über der Kieferkammmitte aufgestellt werden, dann reichen die bukkalen Höcker weit nach vestibulär. Eine Kreuzbissstellung wird jetzt nur noch ganz selten nötig, der Zungenraum ist fast normal und wird nicht eingeengt, und der Wangenkontakt ist hervorragend für die Lagestabilität zu nutzen. Und, was das wichtigste ist, die Zähne stehen mit ihrem Antagonisten für sich autonom stabil und lassen wie erwähnt leichte Bewegungen unter Zahnkontakt zu. Wir
stellen fest, die Forderung nach der Stellung der Zähne auf der Kieferkammmitte wird bei den Condyloform-Zähnen überhaupt nicht zum Problem, womit der erste Faktor für die Lagestabilität einer totalen Prothese erfüllt wäre.
 
 
Die Instabilität der unteren Prothese auf dem nach dorsal ansteigenden Kieferkamm, wie sie von Dr. Hiltebrandt und Ludwig Haller beschrieben wurde, kann durch eine besondere Zahnstellung aufgefangen werden. Dr. Hiltebrandt sah die Lösung in der Verkürzung der Zahnreihe bis zum Sechser, und Ludwig Haller bot eine nach oben gerichtete Kerbstellung der Seitenzähne an. Prfessor Gerber findet die Lösung in der Synthese von beiden Ansichten.
 
 
Die nach unten durchgebogen Kieferkammlinie des Unterkiefers hat im allgemeinen beim ersten Molaren ihren tiefsten Punkt. An diese Stelle muss das Kauzentrum einer totalen Prothese liegen, weswegen dieser Bereich als „kaustabiles Zentrum” beschrieben wird. Diese tiefste Stelle wird am Modellrand angezeichnet und der Sechser dort hingestellt.
 
 
Damit nun das Kauzentrum auch an diesem kaustabilen Zentrum bleibt, endet die obere Zahnreihe beim Sechser, und die Prothesenplatten werden in einem hinreichenden Abstand voneinander gehalten. Hinter dem unteren Sechser steht nur noch ein Prämolar, der als Nebenantagonist für den oberen Sechser die gebogene Kurve beendet; denn die Seitenzähne werden außerdem in einer steilen Kurve aufgestellt, die an die Kerbstellung nach Ludwig Haller erinnert, nur eben umgekehrt, nämlich nach unten durchgebogen verläuft. Es entsteht eine steile sagittale Okklusionskurve. Mit dieser steilen Kurve, der Verkürzung der Zahnreihe und der besonderen Zahnform soll verhindert werden, dass die untere Prothese beim Kauen auf der schiefen Ebene des Kieferkamms
ausrutscht (auch '''Proglissement''' genannt).
 
 
Um Balancekontakte auf der nicht arbeitenden Seite zu erzeugen, werden die Seitenzähne auch innerhalb der transversalen Kurve zu neigen sein. Wenn auch beim Zerkleinern der Nahrung keine Balancekontakte möglich sind, so werden diese Kontakte bei den funktionellen Unterkieferbewegungen während des „Schlenkers” zur Balanceseite erfolgen. Außerdem schonen diese Balancekontakte bei normalen Funktionsbewegungen, zum Beispiel während des Sprechens, die Kiefer und Gelenke. Wir stellen fest, dass die Seitenzähne auch bei Professor Gerber innerhalb der transversalen und sagittalen Kurven aufzustellen sind, und dass diese Kurven bei Unterkieferbewegungen Balancekontakte erzeugen sollen; es handelt sich danach im strengen Sinne um Kompensationskurven.
 
Zur Sicherung der Kaustabilität gehört jedoch auch, die Prothese in der Eckzahnregion in besonderer Weise zu stützen. Meist wird das Abbeißen mit den Eckzähnen und den Prämolaren erfolgen, weil in diesem Bereich die Prothese meist schon sicherer sitzt als im Schneidezahnbereich. Wenn nun anstelle der oberen Eckzähne breite Prämolaren aufgestellt werden, dann können die unteren Antagonisten in der Kaufurche des oberen „Eckzahnvierers” einen hervorragenden Schneideeffekt erzeugen, ohne die obere Prothese nach außen zu drücken und dabei abzuhebeln. Denn die unteren Antagonisten zerteilen die Nahrung, wie es ein Messer zwischen zwei parallelen Schneiden tun würde.
 
 
Die Lagesicherung der totalen Prothese soll als letztes noch durch die Gestaltung der Prothesenkörper unterstützt werden. Während Schreinemakers, Uhlig und Jüde eine umfassende Prothesenlageranalyse empfehlen, schlägt Professor Gerber vor, nach einem Muskelreliefabdruck der [https://flexikon.doccheck.com/de/Perioral perioralen]<ref>https://de.wikipedia.org/wiki/Mimische_Muskulatur</ref> Muskeln an den Prothesen oben wie unten Lippenschilder zur Schleimhautauflage zu formen und für die Wangenbändchen enge Passagen in Funktionsrichtung der Bänder zu modellieren. So entsteht eine „muskelgriffige“ Prothese.
 
=====Der Gerber-Condylator=====
Gerber entwickelte zu seiner Methode einen speziellen Artikulator, den Condylator. Der Name bezieht sich auf die ganz besondere Form der Condylen-Elemente, die der Form der natürlichen Condylen umgekehrt nachempfunden ist. Dadurch soll die Bewegung möglichst genau der natürlichen Bewegung entsprechen und Bewegungsanteile nach kranial und dorsal exakt imitieren.
 
 
Außerdem beherrscht der Condylator die retrale Bewegung der Condylen (heute als Retrusion bezeichnet), die Gerber bei der Gestaltung der Condyloform-Zähne berücksichtigt hat. Zum Kondylator existiert ein passender Gesichtsbogen.

Aktuelle Version vom 7. Januar 2025, 17:52 Uhr