LS7.1 Informationstext Totalprothetik Gerber vereinfachte Sprache
Professor Gerber[1] hat sich mit den funktionellen Unterkieferbewegungen beschäftigt. Er entwickelte ein Gelenkgerät (einen Artikulator) und spezielle Formen für Kunstzähne.
Grundüberlegungen Gerbers
Er zeigt den Zusammenhang der Kiefergelenke zu den Zahnformen und den Zahnstellungen. Er erklärt das so:
- In der zentrischen Okklusion wird in einem eugnathen Gebiss maximaler Zahnkontakt vorhanden sein.
- Die beiden Kondylen befinden sich dabei in der Tiefe (im Zenit) der Gelenkgruben völlig druck- und zugfrei.
- Kaukräfte werden in dieser Position nicht über die Gelenkköpfe weiter gegeben.
Der Kauvorgang beginnt mit der „Beladephase“. Der Unterkiefer zur Kauseite (Arbeitsseite geführt. Dort wir die Nahrung mit den Zähnen erfasst. Der Kondylus der Kauseite ist im Gelenk frei schwebend und kann darum durch die Muskulatur nach dorsal und lateral gezogen werden. Es wird also eine Bennettbewegung durchgeführt. Diese Beladephase ist die Startlage des Unterkiefers. Anschließend wird (unter Kaudruckbelastung) der Unterkiefer aus der rückwärtigen Seitwärtsposition nach vorn und zentral geschoben. Das geschieht zum Zerreiben der Nahrung. Danach macht der Unterkiefer einen Lagewechsel zur Gegenseite (Balanceseite) und zu den Frontzähnen. Danach bewegt er sich in die zentrale Schlussbisslage.
Professor Gerber analysiert die besondere Lippen-, Wangen- und Zungenaktivität während des Kauvorgangs. Die aktive Wangenmuskulatur verhindert ein Abrutschen der Speiseteile in den Mundvorhof (Vestibulum). Die Zunge drückt die Speise immer wieder zwischen die Zahnreihen. Diese Muskelaktivität bestimmt die Bewegungsausschläge des UK während des Kauens mit.
Professor Gerber formuliert daraus diese Forderungen:
- Die Unterkieferbewegung muss zur Herstellung von Zahnersatz in geeigneten Gelenkgeräten nachgeahmt werden.
- Bei der Bissregistrierung muss die zentrale, druckfreie Position der Gelenkköpfe im ”Zenit” der Gelenkgruben wiedergefunden werden.
- Eine Gelenkbahnvermessung muss durchgeführt werden, um individuelle Werte auf den Artikulator übertragen zu können.
- Die Kunstzähne müssen auf die Unterkieferbewegung bezogen sein und statischen Anforderungen genügen.
- Die Zahnstellung der totalen Prothesen muss die Lagestabilität des Ersatzes sichern.
- Die Prothesenkörpergestaltung muss muskelgerecht vorgenommen werden. Sie dient zur Unterstützung des Prothesenhalts ohne Behinderung der Muskelaktivität.
Die Condyloformzähne nach Professor Gerber
Aus den Betrachtungen über die Unterkiefer- und Gelenkbewegungen entwickelte Gerber den Condylator-Artikulator. Nun stellt Professor Gerber jedoch auch den funktionellen Zusammenhang zwischen Kiefergelenkformen und den Zahnformen fest. Es kommt im vollständigen Gebiss zu einer Anpassung zwischen den Gleitflächen der Kiefergelenke und der Zahnoberflächen. Diese Abrasion der Kauflächen erfolgt während der physiologischen (gesunden) Funktion des Kausystems. Sie erzeugt bei den Molaren Schliffflächen, die Formähnlichkeiten mit den Gelenkpfannen haben.
Die Gelenkpfannen und die Kondylen passen wie Mörser und Pistill zusammen. Genau so erfolgte die Angleichung der oberen palatinalen Höcker - und der unteren Kauflächen bei den Condyloform-Backenzähnen nach Gerber. Die palatinalen Höcker bilden Mikro-Kondylen und die lingualen Kaumulden der unteren Seitenzähne bilden Mikro-Gelenkpfannen.
Die Kauflächen der unteren Seitenzähne haben die mörserförmige Kaufurche nach lingual verschoben. Die bukkalen Höcker weisen eine markante (gut sichtbare) Abrasionsfläche auf. Diese ist nach vestibulär abfallend. Die palatinalen Höcker der oberen Zähne fassen pistillförmig in die untere Kaufurche. Die bukkalen oberen Höcker mit den angepassten Abrasionsflächen greifen über die unteren Zähne. Die Schrägflächen der bukkalen Höcker sind in sagittaler und transversler Richtung auf die Gelenkbahnneigungen bezogen. Damit können unter Zahnkontakt Vorschubbewegungen auf den langen Arbeitsfacetten und Rückwärtsbewegungen auf den kurzen Balancefacetten der Kauflächen durchgeführt werden. Die Mörser-Pistill-Zähne lassen also in zentrischer Okklusion geringe Unterkieferbewegungen unter Zahnkontakt zu. Der Mund muss dazu vom Patienten nicht geöffnet werden.
Die Prothese ist durch die Mörser-Pistill-Zähne lagestabil. Die Zähne können in im Tonusgleichgewicht von Zunge und Wange aufgestellt werden. Die anatomisch geformten Vestibulärflächen erzeugen einen guten Wangenkontakt. Dafür sind sie deutlich gekrümmt. Der Prothesenträger kann so die Prothesen mit den Wangen und der Zunge führen und stabilisieren. Die Condyloform-Zähne stehn auf der Mitte des Kieferkamms und sind mit ihren Antagonisten autonom (allein, für sich) kaustabil.
Der Begriff der Kaustabilität
Die Lagestabilität ist nach Professor Gerber von der Zahnform und Zahnstellung der künstlichen Zähne abhängig. Auch die Prothesenkörpergestaltung spielt eine wichtige Rolle. Die Zahnformen nach dem statisch günstigen Mörser-Pistill-Prinzipwurden schön erklärt. Nun geht es um die Aufstellung der Condyloform-Zähne in bezug zu den Kieferkämmen.
Die Seitenzähne stehen natürlich auf der Mitte der Kieferkämme. Bei Zahnstellungen außerhalb der Kammlinie (Verlauf des Kieferkamms) kann die Prothese abgehebelt werden.Bei den Condyloform-Zähnen sind die funktionellen Elemente (Kaumulde und der palatinale Stampfhöcker) deutlich nach lingual versetzt. Wenn diese funktionellen Mörser-Pistill-Anteile exakt über der Kieferkammmitte aufgestellt werden, dann reichen die bukkalen Höcker weit nach vestibulär. Eine Kreuzbissstellung wird jetzt nur noch ganz selten nötig. Der Zungenraum ist fast normal und wird nicht eingeengt. Der Wangenkontakt ist hervorragend für die Lagestabilität zu nutzen. Die Zähne stehen mit ihrem Antagonisten für sich autonom stabil. Sie lassen kleine Bewegungen mit Zahnkontakt zu.
Die Instabilität der unteren Prothese auf dem nach dorsal ansteigenden Kieferkamm kann durch eine besondere Zahnstellung verhindert werden.
Die nach unten durchgebogen Kieferkammlinie des Unterkiefers hat im allgemeinen beim ersten Molaren ihren tiefsten Punkt. An diese Stelle muss das Kauzentrum einer totalen Prothese liegenDieser Bereich wird von Gerber als „kaustabiles Zentrum” beschrieben. Diese tiefste Stelle wird am Modellrand angezeichnet und der Sechser dort hingestellt.
Damit nun das Kauzentrum auch an diesem kaustabilen Zentrum bleibt, endet die obere Zahnreihe beim Sechser. Hinter dem unteren Sechser steht nur noch ein Prämolar, der als Nebenantagonist für den oberen Sechser dient. Die Seitenzähne werden außerdem in einer steilen Kurve aufgestellt. Diese verläuft nach unten durchgebogen. Es entsteht eine steile sagittale Okklusionskurve. Mit dieser steilen Kurve, der Verkürzung der Zahnreihe und der besonderen Zahnform soll verhindert werden, dass die untere Prothese beim Kauen auf der schiefen Ebene des Kieferkamms nach vorne rutscht (auch Proglissement genannt).
Es sollen außerdem Balancekontakte auf der nicht arbeitenden Seite zu erzeugt werden. Die Seitenzähne werden deshalb auch in der transversalen Kurve geneigt aufgestellt. Beim Zerkleinern der Nahrung sind keine Balancekontakte möglich. Diese Kontakte erfolgen bei den funktionellen Unterkieferbewegungen während des „Schlenkers” zur Balanceseite. Diese Balancekontakte schonen bei normalen Funktionsbewegungen (zum Beispiel während des Sprechens) die Kiefer und Gelenke. Es handelt sich um Kompensationskurven.
Die Prothese soll auch in der Eckzahnregion lagestabil sein. Meist wird das Abbeißen mit den Eckzähnen und den Prämolaren erfolgen. Anstelle der oberen Eckzähne werden breite Prämolaren aufgestellt. Die unteren Antagonisten können in der Kaufurche des oberen „Eckzahnvierers” einen hervorragenden Schneideeffekt erzeugen. Die obere Prothese wird dabei nicht nach außen gedrückt. Denn die unteren Antagonisten zerteilen die Nahrung, wie es ein Messer zwischen zwei parallelen Schneiden tun würde.
Die Lagesicherung der totalen Prothese soll auch durch die Gestaltung der Prothesenkörper unterstützt werden. Prof. Gerber formt Lippenschilder zur Schleimhautauflage. Für die Wangenbändchen modelliert er enge Passagen in Funktionsrichtung der Bänder. So entsteht eine „muskelgriffige“ Prothese.
Der Gerber-Condylator
Gerber entwickelte zu seiner Methode einen speziellen Artikulator, den Condylator. Der Name bezieht sich auf die ganz besondere Form der Condylen-Elemente. Sie sind der Form der natürlichen Condylen umgekehrt nachempfunden. Dadurch soll die Bewegung möglichst genau der natürlichen Bewegung entsprechen. Die Bewegungsanteile nach kranial und dorsal werden damit genau imitiert.
Der Condylator kann die retrale Bewegung der Condylen (heute als Retrusion bezeichnet) simulieren. Diese Bewegung hat Gerber bei der Gestaltung der Condyloform-Zähne berücksichtigt.
Zum Kondylator existiert ein passender Gesichtsbogen.